Bundeskanzler Kurz – der Herr der EU
Um die Dimension des Handlungsmusters von Bundeskanzler Kurz zu verstehen, ist es notwendig, einen kurzen Blick auf die Entwicklung der Weltmärkte – bezogen auf die Industrialisierung dieser Märkte (Industrie 1.0 bis Industrie 4.0) und der dort Agierenden – zu werfen.
Der Beginn der Phase der Industrie 1.0 hatte ihren Ausgangspunkt in England und diffundierte in den europäischen und nachfolgend in den amerikanischen Wirtschaftsraum. Von den zugrunde gegangenen Monarchien wurde die Strategie der Ausbeutung an Rohstoffen, bezogen auf den afrikanischen, indischen und ostasiatischen Bereich ohne Unterbrechung durch die neuen politischen Systeme übernommen. Insbesondere Afrika wurde von den europäischen Industrienationen bis Ende des 20. Jahrhunderts als Rohstoffhinterland unter Missachtung aller umwelt- und sozialrelevanten Normen genutzt.
Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich in der USA, dessen Rohstofflieferant der südamerikanische Kontinent und der Nahe Osten wurde. In gleicher Weise wurde auch in diesen Entwicklungsländern und Kontinenten die politische Kontrolle übernommen, um multinationalen Konzernen ein ungestörtes Agieren zu ermöglichen. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist in all diesen Rohstofflieferländern auch ein weiterer Konkurrent, nämlich China, in immer größerer Dimension aufgetreten.
Russland blieb hier aufgrund des Terrorregimes von Stalin zunächst als internationaler Player kaum präsent, versuchte aber, durch Implementierung kommunistischer Systeme zumindestens global politisch Fuß zu fassen (z.B. Kuba, Vietnam, Nordkorea) – eine Politik, die nunmehr Putin mit Annexion der Krim, Teile der Ukraine und Sicherung des militärischen Zugangs zum Mittelmeerraum durch Finanzierung und Förderung eines fast zehn Jahre dauernden Krieges in Syrien offenbar mit anderen Mitteln fortsetzt.
Die Landmasse, über die Putin verfügt, und die in diesem Bereich positionierten Rohstoffvorkommen sind ein höchst wirtschaftspolitisch interessanter, aber weitgehend menschenleerer Raum. Putin ist es jedoch nicht gelungen, basierend auf diesen Rohstoffvorkommen eine entsprechend zivile Finalindustrie nach internationalen Maßstäben aufzubauen.
Wieso es hier zwischen der EU und Russland noch nicht zu einer strategischen Partnerschaft gekommen ist, kann von denkenden Menschen nicht verstanden werden. Natürlich liegt es insbesondere im Interesse der USA, aber auch im Interesse von China, eine solche Stärkung der Europäischen Union zu verhindern.
Was China betrifft, war dies bis etwa dem Ende des 20. Jahrhunderts aufgrund mehrerer Kulturrevolutionen mit ausreichend internen Problemen befasst und trat geopolitisch nahezu nicht in Erscheinung. Dies begann sich nachfolgend dramatisch zu ändern, insbesondere was den technologischen und wirtschaftlichen Aufholprozess dieses Landes betraf. Formal verfügt China über einen gigantisch großen Home Market von nahezu 1,4 Milliarden Menschen und damit den größten der Welt. Was allerdings den Strukturzustand und die Kaufkraft der Bevölkerung betraf, ist es bis heute nicht gelungen, mehr als 200 bis 400 Millionen Chinesen zu einer kaufkräftigen Bevölkerungsstruktur zu entwickeln. Immerhin ist damit ein direkter Vergleich mit der Kaufkraft der EU und des nordamerikanischen Raumes (USA, Kanada) möglich.
Damit hat vor allem der Konkurrenzkampf um die Gewinnung kaufkräftiger Märkte außerhalb der eigenen Heimatmärkte zwischen USA, EU und China begonnen. Er wird mit den Waffen der Technologieführerschaft im Wirtschaftsbereich und natürlich auch mit geopolitischen Strategien und politischen Waffen geführt. In welchem Umfang und in welcher Größe hier Indien beispielsweise mit mehr als 1,1 Milliarden Einwohnern und Russland mit großen Landflächen und Rohstoff-Vorkommen mitspielen werden, ist heute noch schwer kalkulierbar. Prinzipiell könnten beide Länder in naher Zukunft eine durchaus gewichtige Rolle in diesem Wettkampf einnehmen.
Welche Rolle hierbei unterschiedliche politische Systeme sowohl Demokratien aber auch menschenverachtende schwer bewertbare Diktaturen spielen, wird sich im Laufe dieser Entwicklung zeigen. Hier prinzipiell Diktaturen Vorteile einzuräumen ist verfrüht, insbesondere was die Lebenszeit von Diktaturen und Demokratien im Vergleich zeigen.
Bezogen auf die EU ist festzustellen, dass sie sich diesem Wettkampf stellen muss, um überleben zu können. Mit Steuerung und Zugriff auf ca. 500 Millionen Menschen mit durchschnittlicher hoher Kaufkraft und auf Mitgliedsländer mit noch hohem Technologie-Standard stehen die Chancen derzeit nicht ganz so schlecht.
Die Problematik der EU liegt wie immer im Detail und hier in der Sinnlosigkeit und Selbsthemmung durch den Einstimmigkeitsbeschluss alle Mitgliedstaaten. Hier wird Egozentrikern und Zwergstaaten die Chance geboten, ihren eigenen nationalen bzw. nationalistischen Ideen zu frönen oder gar im Sinne einer Großmachtsucht in den Glauben zu verfallen, auch ohne EU den angelaufenen internationalen Verdrängungswettbewerb überstehen zu können. Hier ist insbesondere zu bemerken, wie clever sich China in diese Staatengruppen strategisch und optimal einkauft.
Shorty, basierend auf KURIER vom 20.5.2020
Shorties sind persönliche Stellungnahmen von Helmut Detter basierend auf allgemein zugänglichen Medieninformationen. Sie basieren auf der jahrzehntelangen Nähe des Autors zum politischen Umfeld. Selbstverständlich handelt es sich um eine persönliche Interpretation, so dass natürlich generell die Unschuldsvermutung gilt.
Auch wenn man nur einen geringen Hausverstand aufweist und die mediale Information nur gering über das Niveau von Kronen-Zeitung/Heute etc. hinausreicht, kann man aus Beobachtung der globalen Szene und der geopolitischen Akteure mühelos ableiten, dass kleine Staaten wie Österreich ohne die Verfügbarkeit eines geschützten EU-weiten Marktraumes vermutlich in Zukunft ihren Lebensstandard nicht mehr halten werden können.
Es war seinerzeit der FPÖ-Minister Gorbach, der feststellte: „this country is too small for me“. Diesem Satz folgt offenbar auch Bundeskanzler Kurz. Wieder einmal nutzt er die völlig sinnlose und lähmende Einstimmigkeitsbedingung der EU, um sich mit einigen willfährigen Gesellen als Verhinderer von lebenswichtigen EU-Entscheidungen bzw. sich als Topstratege im jeweiligen Problemfeld zu positionieren. Bundeskanzler Kurz zeigt damit eindrucksvoll auf, dass durchaus der Schwanz mit dem Hund wedeln kann, und dies sogar am Beispiel der EU.
Dieser Kanzler weiß nicht, obwohl er über die besten Berater aller Zeiten verfügt, dass nahezu 80% des Exportes der Republik Österreich direkt nach Deutschland bzw. in den EU-Raum erfolgen. Statt die Ausschüttung von Fördermitteln, insbesondere in die schwachen Staaten Europas (die Abnehmer unserer Exportprodukte sind) nicht nur zu fördern, sondern ihre Realisierung sogar zu beschleunigen, so positioniert er sich als internationaler Experte in Fragen der europäischen Finanz- und Förderpolitik. Damit zeigt er Merkel, Macron und letztlich der gesamten EU, wer hier das Sagen hat. Der nächste EU-Präsident scheint „ante portas“ zu stehen.
Die Frage wie, Österreich dann seine Exportmärkte ausrichtet, wenn der Südraum der EU in ein finanzielles staatspolitisches Desaster schlittert, wird vermutlich der Präsident der Wirtschaftskammer Österreichs, Herr Mahrer (einer der größten Multifunktionäre Österreichs), beantworten müssen. Was dann kommt, wissen wir bereits: nämlich die Aussage, den Ausbau der Märkte in USA und in China zu forcieren. Wie das gehen sollte, weiß allerdings keiner.
Es ist zu befürchten, dass die EU durch Handlungsmuster, wie sie Bundeskanzler Kurz setzt, zwischen dem bereits angelaufenen Machtkampf um Weltmärkte zwischen China und USA durch handelspolitische Barrieren und Sanktionen mühelos zerrieben werden wird.
Das Bild, das älteren Datums ist, zeigt dem Betrachter auf, wie sich vermutlich die Wertschöpfungsanteile der derzeit weitgehend globalisierten Wirtschaftswelt in Zukunft aufteilen werden.
Eine nüchterne Betrachtung dieses Bildes, von dessen Art es eine Vielzahl gibt, führt zu folgendem Ergebnis:
- Sowohl im nationalen als auch im globalen Bereich gilt das Gesetz des begrenzten Wachstums, was bedeutet, dass die derzeit insbesondere in der Wirtschaft laufenden exponentiellen Wachstumsstrategien an ihre Grenze stoßen. Dies wieder bedeutet, dass globales Wachstum dieser Form eine entsprechend hohe Zahl an Verlierern produzieren muss und auch wird.
- Alle Ressourcen sind prinzipiell beschränkt, was bei der derzeitigen Wachstumsstrategie der Märkte zu einem Aufbrauch dieser Ressourcen führt. Ohne Umstieg auf die Nutzung erneuerbarer Rohstoffe bzw. ohne Entwicklung von Recycling-Technologien wird auch dies schlussendlich zur Wachstumslimitierung führen und somit ebenso Verlierer produzieren.
- Fast alle Player in diesem Wirtschafts-Szenario haben bereits seit vielen Jahren eminente Klimaschädigungen ausgelöst, die sich zunehmend einem „point of no return“ nähern. Was dann allerdings abläuft, stellt auch Pandemien in den Schatten.
Hinzu kommt die Tatsache, dass in diesem Wettkampf Märkte unterschiedlichster politischer Systeme agieren, wo es natürlich extrem hohe Unterschiede in den Bereichen
- Wertschöpfungsverteilung (arm bleibt arm, reich bleibt reich)
- Einhaltung internationaler gesetzlicher Normen in den Bereichen Produktion, Handel etc. (verzerrte Wettbewerbsbedingungen)
- Einhaltung demokratischer gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen (permanente Menschenrechtsverletzungen)
vorliegen. Von Wettbewerbsgleichheit und Chancengleichheit, bezogen auf die globalen Märkte, kann somit nicht gesprochen werden.
Größenwahn und Überheblichkeit von Politikern hat im letzten Jahrhundert in Europa schon immensen Schaden angerichtet; wenigstens die Alten sollten das wissen. Die Jungen müssen eben fähig sein, Geschichte zu lesen und sie entsprechend zu interpretieren.
Bundeskanzler Kurz agiert hier letztlich auf Basis einer Koalitionsregierung, so dass angenommen werden muss, dass das gegenständliche Handlungsmuster auch im Interessensfeld und der Strategie des Koalitionspartners der Grünen liegt.
Soweit ich die Grünen und ihre Repräsentanten seit vielen Jahren ganz gut kenne, kann diese Annahme nur stimmen, wenn sie einen gigantischen Wandel ihrer ursprünglichen Ziele vollzogen haben.
Allerdings muss festgehalten werden, dass es in demokratischen Systemen immer zwei potentielle Akteure gibt, nämlich jene, die ihren Machtwillen durchsetzen wollen, und jene, die gesetzlich befugt sind, wie etwa die Opposition, zu verhindern oder eben unfähig ist, es zu verhindern.
Bezogen auf die Verhältnisse in Österreich fällt mir hier die Oper von Ludwig van Beethoven ein (Fidelio), verbunden mit der Frage wieso es in Österreich keine „Retterin“ zur Aufrechterhaltung einer immerhin erstmalig seit 75 Jahren weitgehend existierenden demokratischen Ordnung gibt.